Vipassana Erfahrung: 15 Tage Fasten, Schweigen Und Leiden

Überblick

Ich möchte vorweg sagen: Ich bin sehr dankbar für meine Vipassana Erfahrung. Dank Vipassana habe ich viel über mich gelernt und darf dies in meinem Alltag anwenden. Insgesamt fühle ich mich zentrierter und liebevoller denn je.

Schreiben geschieht teilweise ohne Kontrolle. Ich weiß nicht, warum ich mir diesen Augenblick ausgewählt habe, denn er war der härteste in dem gesamten Retreat. Dies verzerrt den Blick auf das Gesamte und daher bitte nicht abschrecken lassen. Ich kann es jedem vom Herzen empfehlen…

Vipassana bedeutet Einsicht

„Mir geht es gut. Ich bin überraschend fit, trotz des wenigen Schlafs. Ich hätte zuvor nicht gedacht, mit nur vier Stunden auszukommen. Aber, wie sie sagen: „Müdigkeit kommt, Müdigkeit geht. Ich bleibe. Mal schauen, wie es in fünf Minuten ist.“

Hildegard nickt. Sie sitzt auf ihrem Stuhl mit kerzengeradem Rücken. Ihre Füße ruhen auf einem Meditationskissen, so dass ihre Beine einen perfekten 90 Grad Winkel bilden. Eine luftige, zarte Frau, deren buddhistischen Name „Dhammacari“ besagt, dass sie in den Weisheiten Buddhas verankert ist.

Sie sagt: „Gut, dann darfst du weiter praktizieren. Die 60 Minuten pro Geh- und Sitzmeditation werden nicht erhöht. Du darfst die Gardinen zulassen und nur in deinem Zimmer praktizieren.“

Die mehrfach ausgezeichnete Vipassana-Leiterin nickt abermals, um mich zu verabschieden. Ich bleibe sitzen und frage: „Wann habe ich heute meine Abschiedszeremonie?“ Sie schaut mich verwundert an und mir wird anders. „Wir haben 15 Tage ausgemacht, richtig?“, fragt sie mich.

Ich möchte nicht antworten. Mein Geist weiß bereits, wie das Gespräch enden wird. Das darf nicht sein. Ich habe extra die fünfzehn Kieselsteine neben meine Matratze gelegt. Heute früh habe ich, wie die vergangenen Tage, einen Stein in weitem Bogen in den Garten geschmissen.

Es war der vorletzte Stein. Morgen nur noch einen kleinen, weil ich um 10:30 von meiner Freundin abgeholt werde.

Sie schaut in mein verdutztes Gesicht und lacht. „Schön, dass ich den Witz mitbekommen habe, dass sich in fünf Minuten wieder alles ändern kann.“ Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

Um den Schein zu wahren, verbeuge ich mich dreimal vor der Buddha-Statue und richte mich langsam auf. Meine Knie schmerzen von der Gehmeditation: Ferse hoch. Heben. Vorwärts. Senken. Das war‘s. Und damit meine ich, das war‘s.

Ich habe alles versucht, um Sinn in dieser Übung zu finden. Als Coach arbeitete ich mit Visualisierungen, mit Affirmationen oder Atemtechniken. Was ist der Sinn der Übung? Was ist der Sinn?

Aber Hildegard blieb stur und sagte mir immer wieder: „Es ist nicht vermittelbar“. Dann ließ sie mich vor sich laufen und sagte mir, dass meine Füße zu weit auseinander stehen, wenn ich den Fußballen absenke.

Ich hatte mich auf eine erwachte Person gefreut und dann reden wir über Fußlängen einer sinnlosen Übung, die ich zwanzig Stunden am Tag ausübe.

Bis zum zehnten Tag habe ich versucht, den Code der Übungen zu knacken, damit ich meine Erleuchtungserfahrung Hildegard präsentieren kann. Meine Hoffnung war, dass sie mich dann loben würde und nach Hause schickt.

„Tu gutes in der Welt, Fabian. Du hast es verstanden und brauchst dies alles nicht.“ Dieser Traumvorstellung kam immer wieder hoch. Es genauso naiv, wie viele Menschen glauben, ständig beobachtet zu werden, wenn ihre Frisur nicht sitzt.

Ich habe Heimweh. Denn ich vermisse Musik, Schreiben, im Cafe sitzen und die Sonne genießen. Alles wurde mir genommen: Mein Stift und Papier. Mein Handy, meine Kleidung, meine Freiheit. Ich vermisse es, zu reden und ich vermisse Berührung. Die wundervolle, weiche Haut meiner Freundin. Keine Frau liegt so schön und friedvoll in meinen Armen, wie sie.

Ich gehe aus dem kleinen Zimmer hinaus. „Du kannst Julia Bescheid geben. Sie praktiziert entweder in ihrem Zimmer Nummer vier oder im Gemeinschaftsraum“. Ich möchte am liebsten Amoklaufen. Stattdessen nicke ich. Während ich die Treppen hinuntergehe, schüttle ich mit dem Kopf.

Vipassana und Verzweiflung gehen einher

Noch ein Tag. Noch einen vollen Tag. Danach noch einen. Einen weiteren vollen Tag. Ich schaue in den Gruppenraum und vier Leichen in weiß sitzen entweder im Schneidersitz mit geschlossenen Augen oder gehen in gebückter Haltung, mit der linken Hand den elektrischen Timer greifend und die rechte Hand darüber. Ich weiß zu einhundert Prozent, was sie als nächstes machen werden: Ferse hoch. Heben. Vorwärts. Senken.

Der Timer von der maulenden Myrte – wir sind alle freiwillig gezwungen zu schweigen und daher kenne ich ihren richtigen Namen nicht. Aber ich kann auch ohne Modedesignsstudium behaupten, dass weiß nicht ihre Farbe ist – zeigt 45 Minuten an. Sie ist noch nicht so lange dabei wie ich.

Jeden Tag wird die Zeit um fünf Minuten erhöht. Aber schon an Tag vier oder fünf hatte ich keine Lust mehr, mich vor den 60 Minuten zu fürchten und habe freiwillig erhöht.

Lieber leide ich selbstbestimmt, als auferzwungen. Viktor Frankl wäre stolz auf mich. 

Oft denke ich an die letzten Worte meines Mitbewohners „Hol alles raus. Hol alles raus.“.

Dies kann mir niemand vorenthalten. Ich gebe mein Bestes. Das heißt, in meinem Kellerverlies seit 2:30 Uhr in der Früh auf und abgehen. Selbst die Eulen schlafen zu dieser Zeit. 

Nach einer Runde von 60 Minuten gehen und 60 Minuten sitzen, mache ich maximal 25 Minuten Pause. Um 22:00 Uhr ist Schlafenszeit. Davor untersagt. Alles freiwillig natürlich. Aber schrei mal in der Kirche. Es gibt Regeln, an die man sich hält.

Am Abend muss ich mich mit den Händen an den Wänden festhalten, um beim Gehen nicht umzukippen. Die Knie schmerzen und die Müdigkeit versucht mich zu übermannen in einer nie gekannten Dringlichkeit, ja sogar Boshaftigkeit.

Sekunde, um Sekunde halte ich durch, bis das Piepsen des Timers mich erlöst. Dann darf ich endlich denken: „Absicht Bewegen. Absicht Bewegen. Absicht Bewegen.“ Daraufhin: „Bewegen. Bewegen. Bewegen.“ Erst dann, bewege ich meine Arme und drücke die Stop-Taste.

Nun muss ich Wahnsinn noch zwei volle Tage machen und ein paar Stunden übermorgen früh. Ich schließe wieder die Tür und mein Blick bleibt beim Türgriff hängen. „Stehen. Stehen. Stehen.“ Ich mache mir bewusst, dass ich stehe.

Es hilft mir, zu erkennen, dass sich jedes planen, reden und aufregen nur in meinem Kopf abspielt. Von außen betrachtet sieht man einen in weiß gekleideten Mann mit einer zu weiten Baumwollhose, weißen Socken und Badelatschen, die als Hausschuhe dienen. Laufen sie so nicht auch im Bierkönig auf Mallorca herum?

Ich finde nicht in meine Mitte zurück. Der Schock sitzt zu tief. Die Gedanken zu aufgewühlt. Der Sog zu groß. Ich versinke im schwarzen Loch unheilvoller Gedanken. Ich habe die Gedankenwirbel die letzten fünfzehn Tage intensiv studiert. Selbst mein dreijähriges Psychologiestudium und die jahrelange Coaching-Ausbildung kommen an diese Intensität nicht heran.

„Wo steckt diese Julia? Was war es nochmal? Zimmer 4?“ Ohne Schlaf gleicht der Verstand einem Sieb. Er vergisst alles. An Tag vier habe ich das Mittagessen vergessen. Wie kann das gehen? Es gibt doch nur zwei Mahlzeiten. Um 6:30 und um 11:00 Uhr. Wie kann man das Highlight des Tages vergessen?

Ich durfte 24 Stunden fasten. Ehrlich gesagt, war dies meine Rettung. Ich merkte, dass ich nicht wie die Tage zuvor in ein Mittagstief fiel. Meine Analyse ergab, dass die Kohlenhydrate in Form von Reis und Kartoffeln schuld daran sind und ich habe sie danach weggelassen. Nur noch Gemüse und Salat. Denn die Mittagstiefs sind tödlich.

Wenn neben der normalen Müdigkeit noch Verdauungsmüdigkeit hinzu kommt. Nicht zu vergessen die gähnende Langeweile. Das Gefühl, gefangen zu sein, an einem eigentlich schönen Ort. Aber hey, die Sonne scheint. Und denk doch mal an die Kinder in Afrika.

Jaja, die Kinder in Afrika… Ich wäre so gerne in Afrika und lasse mich von einem Löwen jagen. Überall sein, nur nicht hier. Nur nicht auf diesem Stuhl, mit dem Blick in die Leere. Neben all den schweigenden Zombies und dieser grantigen Ressortleiterin, deren Name ich hier verschweige, vor der ich eine solche Angst habe. Wenn sie in der Nähe ist, habe ich sogar Angst, meinen Fencheltee zu verschütten.

Sie praktiziert seit 17 Jahren, aber sagte mir gleich zu Beginn, dass sie noch nicht erleuchtet wäre. Das überraschte mich nicht… Kein Funken Freude ist hier zu spüren. Warum mache ich diese Übungen auch nur eine Minute weiter, wenn sie nichts bringen?

Dies geht mir alles durch den Kopf, während ich die Treppenstufen hinunter schlürfe. Das Zimmer Nummer vier ist neben meinem Zimmer Nummer drei. Ich hoffe, dass ich es richtig im Kopf habe und klopfe. Nichts passiert. Wieder klopfe ich, diesmal stärker. Keine Reaktion. Das ist noch nie passiert.

Wow, eine kleine Veränderung. Eine Überraschung. Ich werde fast euphorisch, nur weil eine Tür nicht aufgeht.

Normalerweise macht die Person sofort auf, weil sie es auch nicht erwarten kann, ihre Übung zu unterbrechen, um kurz und nur einmal täglich mit Hildegard zu sprechen. 

Ich klopfe diesmal noch fester und flüstere sogar ihren Namen: „Julia?“. Es ist sonderbar, meine eigene Stimme zu hören. Dafür rede ich viel im Geist. Unendlich viel. Ich teile Erkenntnisse, an die die meisten Menschen nie herankommen werden. Dabei stelle ich mir vor, wie ich interviewt werde. 

Dieses Spiel geht Stunden. Es macht mich kirre. Aber ich liebe Erkenntnisse, die ich in meiner Arbeit teilen darf. Ein Teil aus der Gier nach Anerkennung, ein Teil aus dem Wunsch Menschen vom Leid zu befreien.

Dabei mache ich mir wieder klar, wie besonders diese Tage hier sind. Wer hat auch schon die Zeit, für 15 Tage zu verschwinden? Wer opfert hierfür seine Urlaubstage? Wer spürt schon in sich diesen tiefen Wunsch, aufzuwachen und beschäftigt sich seit einem guten Jahrzehnt damit?

Ich bin dankbar, aber auch diese Gedanken blockiere ich. Klopfen. Klopfen. Klopfen. Es tut sich nichts. Sie hat wirklich verschlafen. Dies habe ich noch nie mitbekommen. Manche brechen ab, wie mein damaliger Mitbewohner. Mit ihm konnte ich mein Glück kaum fassen:

Wenn du ein Schlaffenster von vier Stunden hast und dein Mitbewohner schnarcht und um 01:25 auf die Toilette geht. Was sagst du dir dann um 2:30 Uhr, wenn der Wecker klingelt?

Nichts. Affirmationen sind hier nutzlos. Visualisieren verboten. Positive Selbstgespräche passieren, sind aber nicht das Ziel. Das Ziel ist nämlich: Ferse hoch. Heben. Vorwärts. Senken. Wenn sich ein Gedanke einschleicht – besser gesagt, auf dich eindrischt – dann ist deine Reaktion: „Stopp. Stopp. Stopp.“.

Daraufhin benennst du den Gedanken. Z. B. „Sorge. Sorge. Sorge.“. Dann sagst du im Geist: „Absicht gehen. Absicht gehen. Absicht gehen.“.

Mir wird es schon beim Aufschreiben schwindelig. Dies machst du bei allen Gedanken. Selbst bei den Positiven.

Trainiere deinen Geist

Über die Jahre habe ich meinen Geist wie einen Hund trainiert. Ich kann Sorgen mit Leichtigkeit stoppen und mein Leben ist großartig. Ich kenne kaum Angst, bin motiviert, kreativ, sprühe vor Dankbarkeit und Wertschätzung.

Aber welche Ängste und Sorgen entstehen, wenn dir alles genommen wird und es dir an Schlaf und Nahrung mangelt, schockiert mich.

Besonders wenn der Geist Streit-Szenarien mit meiner Freundin produziert. Oder mir ganz sanft einredet, dass sie mich in diesem Moment betrügt. „Sie ist eine Frau mit Bedürfnissen. Meint es nicht böse, aber aus dem Stress heraus und der Sehnsucht nach mir, ist es passiert, dass sie sich vergessen hat.“

So redet er in einer Tour. Hört nie auf. Selbst beim zehntausendsten „Stopp. Stopp. Stopp.“. Schon lange habe ich mich von meinem bestärkenden, ausgeschlafenen Geist verabschiedet, der mir stets ein Freund ist.

Dieses gemeine Ding hat nichts mit dem zu tun, was ich kenne. Mir wird  in diesem Momenten wieder klar, was Hildegard mich gefragt hatte: „Ist es DEIN Geist, oder ist es DER Geist?“. Ich verstand die Frage nicht. Trotz zehnjährigem Selbststudium der Gedanken und knapp achtjähriger Meditationserfahrung.

Auf jeden Fall schikaniert er mich oder sich selbst – nach zehn Tagen weißt du nicht, was „mich“ oder „Ich“ eigentlich bedeutet.

Ich kann nur dabei zuschauen. Immer wieder stopp sagen. Minute um Minute. Tagein, tagaus und in der Zwischenzeit Fencheltee trinken.

Hat Eckhart Tolle Recht?

Ist der Geist doch ein Wirt, wie es Eckhart Tolle beschreibt. Ein grässliches Ding, so vertraut, dass wir die Gitterstäbe nicht sehen können? Die Matrix, die uns kontrolliert und eine feste Realität vorgaukelt?

Ein Geist, für den wir uns halten und der sich selbst in den Wahnsinn treibt und wir glauben, dieser zu sein? Er macht den Griff zu Zucker und Alkohol überhaupt möglich. Welcher eigenständige Körper würde dies machen? Er ist es, der uns treibt – im Negativen, wie im Positiven – bis wir völlig erschöpft und meist alleine in den Schlaf fallen.

Wie konnten wir ein System schaffen, das uns so einpfercht? Ist es ein Abbild für unsere eigene Unfreiheit im Kopf?

Nicht schon wieder.

„Stopp. Stopp. Stopp.“. „Analysieren. Analysieren. Analysieren.“. Dieses Wort ist unter meinen Top Drei. Mir war nicht bewusst, wie viel ich über den Tag hinweg analysiere.

Ich mache es beim Kochen, beim Reden, beim Sex. Kein Wunder, dass ich ständig den Drang verspüre, aufzuschreiben. Kein Wunder, dass ich mit 24 bereits mein erstes Buch geschrieben habe und als Coach diene. Ich analysiere ständig.

Was das für Energie raubt! Allein dies zu erkennen, vereinfacht mein Leben. Dann kann ich diese Energie bündeln, wenn ich vor dem Rechner sitze und schreibe. Dann darf alles raus, aber nicht, wenn ich esse oder liebe.

Ich gebe es auf, Julia aufzuwecken und gehe hoch, um es Hildegard zu sagen. Sie wirkt überrascht, fast verärgert. „Dann bringe mir bitte Niklas. Er ist im Zimmer gegenüber.“ Ich nicke und hole Niklas.

Danach setze ich mich auf die Couch und leide. Ich habe  es satt, so viel zu denken. Ich habe es satt, hier zu sein. Ich habe es satt, auch nur eine weitere Stunde hier zu verbringen.

Mein Blick geht automatisch zu der kleinen Uhr. Es ist 10:00 Uhr. Zehn Uhr. Zehn Uhr!

Ich atme aus und versuche, meinen Geist zu entspannen. Hier ankommen, meinen Körper spüren. Nicht wieder in Gedanken abtauchen. Im Alltag merkt man nicht, wie viel man denkt. Man ist zu beschäftigt.

Der Geist peitscht einen voran. Man glaubt, das Richtige zu tun. Aber insgeheim fragt man sich schon: „Warum mache ich das hier alles?“.

Alles für eine Handvoll schöner Momente, die dann doch an einem vorbeiziehen.

Meditation vs Eile

Meine Freundin erzählte mir, dass sie früher Hochzeitsbräute frisierte. Dabei war sie geschockt, wie gehetzt diese an ihrem besonderen Tag waren. Der eine Tag, der für so viele Frauen Erlösung bedeutet. Finale Sicherheit. Und dann sind sie nicht da. Sie sind einfach nicht da, sondern in Gedanken bei der Farbe der Servietten.

Dieser Wahnsinn wird mir hier so bewusst, dass ich es nicht fassen kann. Genauso wird mir mein Verhalten bewusst. Meine unendliche Suche, die ich nicht mal benennen kann.

Warum komme ich immer wieder auf spirituelle Texte von Osho, Tolle und Walsch zurück? Welches Land zeigen sie mir, nachdem sich mein Herz so sehnt? Ich habe gelernt, dass dieser Ort außerhalb unseres Geistes liegt.

Der Geist ist zwar grenzenlos, aber es gibt diesen Ort. Ich habe ihn dutzende Male beim Meditieren gespürt. Welch tiefer, unberührter Frieden.

Aber nicht jetzt. Jetzt leide ich auf diesem Sofa. Ich strecke die Arme hoch, als würde eine Waffe auf mich zeigen. „O.K., ich gebe auf. Ich leide jetzt. Gut, geschafft. Ich habe  lange durchgehalten. Es wird Zeit, zu leiden. Ich nenne es Leiden mit Stil. Los geht‘s“.

Wie ein Pirat, der zum Galgen geht, laufe ich die Schritte wieder hinunter zu meinem kleinen Zimmer. Irgendwie mit Stolz in der Brust. Ich habe mein Bestes gegeben.

Vor zwei Wochen habe ich mit meiner Freundin eine lichtdurchflutete Dachgeschosswohnung in München angeschaut und den Vermieter kennengelernt. Ob wir die Zusage haben, weiß ich nicht, aber ich glaube schon. Dieser Tag kommt mir weit entfernt vor.

Nun bin ich in einem dunklen 11qm Zimmer und es bleiben mir Humor und Leid. Wie ein englischer Lord hebe ich die Nasenspitze. „Es wird jetzt gelitten. Kein Problem. Denn Schmerz geht. Ich bleibe. Mögen noch so viele Gedanken auf mich einschlagen. Ich bleibe. Mögen noch so viel Langeweile und Müdigkeit auftauchen. Ich bleibe. All die Menschen rennen weg von Leid, als wäre es unnatürlich. Ich bleibe“.

Ein Teil von mir hofft, dass dies die magischen Worte sind und die Himmelspforte sich öffnet und Gott persönlich mir gratuliert. Endlich befreit. Endlich regnet es Glücksbärchen. Aber nichts passiert. Das Zimmer bleibt klein und dunkel. Die Wände haben schon alles gesehen. Unter anderem meine Angstattacke, als ich mich vor meinem eigenen Atem erschrocken habe.

Aber es hilft in diesem Moment alles nichts. Denn es bleibt ein kleines, dunkles Zimmer. Es bleiben zwölf Stunden. Morgen nochmal zwanzig. Übermorgen nochmal zehn. Es bleiben Millionen Gedanken, manche schön, manche hässlich.

Ich verbeuge mich dreimal und drücke auf die Starttaste. Ich beobachte die ersten drei Sekunden der sechzig Minuten, wie sie dahingehen. Drei Sekunden meines Lebens. So kostbar. Nach drei Sekunden fange ich an zu praktizieren. Ansonsten nervt mich tausendmal der Geist, dass ich den Startknopf nicht gedrückt habe und ewig laufen werde.

Dann heißt es wieder: „Ferse hoch. Heben. Vorwärts. Stopp. Stopp. Stopp. Planen. Planen. Planen. Stehen. Stehen. Stehen. Absicht gehen. Absicht gehen. Absicht gehen.“.

Dann hebe ich die Ferse, nur damit wieder ein Gedanke auftaucht: „Stopp. Stopp. Stopp.“.

Der Aha Moment

Während ich im Moment leide und es für mich o.k. ist, macht der Geist etwas Seltsames: Er flüchtet wieder. Jedoch nicht ins gelobte Land mit kalorienreduziertem Ben und Jerrys Cookie Cream Eis, sondern in eine weitere düstere Welt, voller Sorgen.

In diesem Moment werde ich sauer und schreie in Gedanken: „Wie kannst du nur jetzt auch noch in furchtbare Szenarien flüchten?! Es wird hier im Moment gelitten! Hast du verstanden?!“

Es fällt mir wiedermal auf, wie unkontrolliert und maschinell der Geist funktioniert. Ich frage mich ernsthaft, wie ich mein ganzes Leben ihm so gehorchen konnte. Er ist nur ein Abbild des Umfeldes. Ein Produkt der Gesellschaft. Wie konnte ich nur zulassen, mich so an der Nase herumführen zu lassen?

Dies war der Moment, in dem ich alle Verbindungen zu meinem Geist löste. Ich erkannte, wie unpersönlich dieser ist und ließ jede Schuld, jede Scham und jeden Erfolg los. So rigoros, dass ich plötzlich viele der spirituellen Passagen verstand, wenn sie vom Nicht-Tuer sprechen, der man in Wahrheit ist.

Und es passiert nichts weiter. Keine Blitze. Keine Farben. Sie wären auch nur Produkte des Geistes. Genauso wie Engel und Dämonen oder Religion und Wissenschaft.

Ich durchlebe die letzten Tage und Stunden. Es ist ein stetiges Auf-und ab. Ein Wechselspiel, dass ich im Alltag nie erkannt habe. Wie oft sich die Stimmung ändert! Dies ist unkontrollierbar.

Happy End meiner Vipassana Erfahrung

Am Ende durfte ich den schönsten Moment meines Lebens erfahren. Ich sitze auf der Terrasse und beobachte, wie der graue Golf meiner Freundin einparkt. Ich springe auf und jogge zu ihr.

Ich laufe um den riesigen Strauch und rufe ihren Namen. Sie sieht mich und tanzt auf der Stelle. Wir küssen uns, halten uns fest und ich sauge ihren Duft ein.

Selbst dann möchte der Geist fliehen.

Doch ich bleibe im Moment. Bei der Berührung. Bei ihren Lippen. Bei ihren Fingernägeln, die meinen Nacken kraulen.

Wenn du im Leid im Moment bleibst, schaffst du es auch in der Freude.

Fazit

Ich bin auch eine Woche später noch verblüfft, wie einfach es ist, aus dem Geist auszusteigen und seine wahre, grenzenlose Natur zu erkennen. Es ist das Ende allen Leidens. So ganz begriffen hat es der Geist noch nicht. Als wäre er aus einem tausend Jahre andauernden Schlaf erwacht und blinzelt noch mit den Augen. 

Dennoch bleibt der Alltag ein auf-und ab. Das Ende allen Leidens bedeutet nicht, dass man nie mehr Krankheit erfährt, oder negative Gedanken. Für mich heißt es, zu wissen, dass alle Gedanken, die du dir machst und alle geistigen Welten, die du spinnst, in deine Hand passen.

So groß bist du, bzw. so klein sind alle unsere Vorstellungen.

Mehr kann ich nicht mehr schreiben. Über 3000 Wörter meiner Vipassana Erfahrung in einem Fluss. Es durfte raus. Dabei ist es ein Bruchteil von dem, was ich erleben durfte.

Danke für deine Aufmerksamkeit.

Mein Lieblingsautor Yuval Noah Harari über Vipassana

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